Fünf
Mein Praktikum ist jetzt vorbei. Letzte Woche hatte ich von Mittwoch bis Freitag jedoch noch einmal volles Programm.
Wie schon im letzten Eintrag angekündigt, habe ich mit zwei Theaterpädagogen und einem Deutschlehrer eine Gruppe von 20 Kindern geleitet. Die Veranstaltung ging immer von 9:30 bis 16:00 und endete am Freitag mit der Aufführung des erarbeiteten Theaterstücks vor ca. 100 Menschen.
Die Kinder hatten verschiedenste soziale Hintergründe. Zumindest vermute ich das. Die Vermutungen stelle ich anhand der Verhaltensmuster verschiedener Kinder an. So zeigte ein Großteil der 10 -14 jährigen ein relativ verträgliches Sozialverhalten und die Fähigkeit zur zeitweiligen, konzentrierten Mitarbeit. Es gab allerdings auch Kinder welche eine verminderte Affektkontrolle aufwiesen, starke Konzentrationsschwierigkeiten hatten und immer wieder mit anderen Kindern in Konflikte gerieten. Diese Konflikte konnten im Laufe der Veranstaltung zweimal nur gelöst werden, indem eine Betreuerin den entsprechenden Jungen festhielt. Dieser hatte vorher auch nach mehrmaligen, verschiedenen Versuchen ihn und sein fremdgefährdendes Verhalten zu stoppen nicht davon abgelassen und geriet in den Armen der Betreuerin letztlich vollends in Rage. Erst nach mehreren Minuten beruhigte er sich. Später erfuhr ich, dass dieser spezielle Junge auf eine Schule für Kinder mit sozial – emotional Störungen geht und nur wegen Anweisungen des Jugendamtes an der Veranstaltung teilnahm. Wir hatten große Schwierigkeiten bei der Betreuung des Jungen und hätten uns gewünscht vor der Veranstaltung einige, wichtige Informationen über ihn zu erhalten. Wie kann es sein, dass ein Kind in eine Veranstaltung verwiesen wird, jedoch keine Informationsübergabe stattfindet? Das Fehlen eben dieser hat es für uns und den Jungen sehr schwer gemacht.
Der Bruder des Jungen nahm übrigens auch Teil, war aber in einer anderen Gruppe für jüngere Kinder. Diese Gruppe hat abgesehen von den sprachlichen Elementen etwas Ähnliches gemacht wie wir. Das von ihnen entwickelte Stück ging in die Richtung eines Musicals. In Bezug auf das Alter fand also eine Differenzierung statt. Soviel zunächst erst einmal von den Schwierigkeiten und Problemen einer Lerngruppe mit der man in einer Woche intensiv und produktorientiert arbeiten musste.
Das übergreifende Thema des Workshops war „Held/innen“. Die ersten drei Tage hatten die Kinder zur einen Hälfte eine sogenannte Schreibwerkstatt in der sie sich auf schriftlicher Ebene mit dem Thema auseinandersetzen sollten und zur anderen Hälfte wurde theaterpädagogisch gearbeitet. Ein wichtiger Teil der Schreibwerkstatt war natürlich auch der Diskurs zwischen den Kindern. Denn nicht nur eigene Überlegungen sollten die Grundlage für Elfchen, kurze Texte und Interviews sein, die auch als Grundlage für das Stück dienen sollten.
Mein Hauptaugenmerk lag natürlich auf der Theaterarbeit. Schon die von den beiden Theaterpädagoginnen angewendeten Einführungs-, Kennenlern-, und Aufwärmspiele waren sehr facettenreich und anregend. Gut zum Einstimmen allgemein, fand ich ein Klatschspiel, bei dem in einem vorgegebenen Rhythmus die gesamte im Stuhlkreis sitzende Gruppe eine bestimmte Klatschreinfolge einhalten musste. Erst wurde mit dem rechten, dann mit dem linken Fuß auf den Boden gestampft, woraufhin zunächst beide Hände auf die Oberschenkel, dann die rechte auf die linke und die linke Hand auf die rechte Schulter geklatscht werden musste. Wenn sich der Rhythmus etabliert hatte, was eine erste Konzentrationsleistung darstellte, gab eine der Pädagoginnen einen Namen rein. Und zwar indem sie beim Schlag mit der rechten Hand auf die linke Schulter zunächst ihren eigenen Namen sagte und dann, beim Schlag der linken Hand auf die rechte Schulter, den Namen der Person die als nächstes damit dran sein sollte. Somit ging diese Aufgabe von Teilnehmer zu Teilnehmer. Die besondere Schwierigkeit war dabei den Rhythmus zu halten. Auf der einen Seite förderte das Spiel die Konzentration und den Zusammenhalt in der Gruppe, war auf der anderen Seite aber auch sehr witzig und bereitete den Kindern viel Spaß.
Ein unter dem kuriosen Namen „ästhetische Mittel“ durchgeführtes Aufwärmspiel für die Theaterarbeit, war außerdem herausragend. Dabei wurden vor ein Mikrofon, welches an einen Verstärker angeschlossen war, mehrere Karten gelegt. Auf den ca. 60 Karten standen verschiedene Aufforderungen. Die Forderungen bezogen sich auf die Handlungen der Spieler die sich im Raum verteilen mussten und die von den Ansagern über Mikrofon reingerufen wurden. Es gab verschiedene Anweisungen zu Gefühlen die gespielt werden sollten, wie die Spieler sich fortbewegen sollten und in welcher Geschwindigkeit das ganze passieren sollte. Mit der Unterstützung von fetziger Musik artete das Spiel teilweise etwas aus, war jedoch ein Spaß sondergleichen. Natürlich gab es Kinder, die sich anfangs nicht getraut haben mitzumachen und sich erst im Verlauf durch die Motivation der anderen lösen konnten, sowie Kinder die bis zum Schluss eher beschämt durch das Spielen der anderen waren. Jedoch merkte man eindeutig wie das Spiel die Lust am Schauspiel und die Kommunikation darüber förderte. Für seine Leistung ein direktes, unmittelbares Feedback zu bekommen und sich bei anderen Spielern etwas abschauen zu können ohne auf verbaler Ebene miteinander kommunizieren zu müssen, sind mit Sicherheit Stärken des Spiels.
Als ich am dritten Projekttag, also der chronologischen Mitte, eingestiegen bin, war bereits die Zeit gekommen, sich ein konkretes Stück auszudenken. Bis dahin hatten die anderen mir den Kindern einige Szenen ausprobiert, sowie Textgrundlagen in der Sprachwerkstatt geschaffen. Nachdem der Mittwoch genutzt wurde um eine Schlüsselszene in der alle Kinder vorkommen sollten und andere einzelne Szenen zu Proben, sowie letzte Hand an verschiedene Texte zu legen, trafen sich das Theaterpädagoginnen-Team und ich am Mittwochabend um die Inszenierung zu besprechen. Aus den einzelnen Teilen, welche zum großen Teil nicht einmal annähernd geprobt waren musste nun ein großes Ganzes werden. An diesem Punkt wurde uns allen eine gewisse Zeitknappheit bewusst. Denn abgesehen von den Proben für die einzelnen Teile, musste am nächsten Tag natürlich noch alles zusammengefügt werden. Am Freitag blieb vor dem Auftritt nur noch Zeit für eine „Generalprobe“. Somit stand der Donnerstag ganz im Zeichen der Proben.
Anfangs hatten die Kinder jedoch große Probleme konzentriert mitzuarbeiten. Das ganze schaukelte sich, weil die beiden Theaterpädagogen die Zeit im Blick hatten und eine gewisse Ungeduld zeigten, soweit hoch, dass die beiden den Raum verließen, obwohl sie eigentlich die Kinder über den Verlauf aufklären wollten. Ich blieb mit der Gruppe zurück und beschwichtigte die Kinder. Ich erklärte die Lage und die Perspektive der beiden um die beiden danach wieder hereinzurufen. Das Ganze geschah, ohne dass wir es abgesprochen hatten. Es gab mir ein gutes Gefühl diesen Konflikt diplomatisch lösen zu können. Nachdem also alle bei der Sache waren, gingen wir in eine intensive Probephase. Dabei musste ich leider die Kinder betreuen, die zeitweise nicht Proben mussten. Leider schreibe ich nur, weil ich so die Proben zum Teil verpasst habe. Andererseits konnte ich so spontan meine Leitungsfähigkeiten testen. Es gelang mir die Aufmerksamkeit zu bündeln und einige Spiele anzuleiten.
Ich konnte allerdings andere Teile von Proben verfolgen und habe sogar die Aufgabe übertragen bekommen, einen bestimmten Part mit einer Gruppe von 7 Kindern einzuüben. In der zu übenden Szene sollten sich die Kinder in ihren Superheldenrollen vorstellen. Für das Stück schlüpfte jedes der Kinder in die Rolle eines selbsterdachten Superhelden. Natürlich haben die Kinder nur beschränkte schauspielerische Fähigkeiten und zu großen Teilen Probleme mit Scham. Außerdem hatten einige Kinder Probleme, sich mit der vorher erstellten Szene abzufinden und äußerten immer wieder den Wusch etwas an der Szene zu ändern. Aufgrund der Zeitknappheit war das leider nicht mehr möglich und ich musste wiederum beschwichtigend und motivierend Einfluss nehmen.
Als Fazit der drei Projekttage, kann ich behaupten mich schnell in der Gruppe eingefunden und eine direkte, positiv erlebte Beziehung zu den Kindern aufgebaut zu haben. Ich habe es geschafft Streitigkeiten zwischen den Kindern zu klären und habe dafür von ihnen sogar ein als ehrlich empfundenes Dankeschön erhalten. Die theatrale Arbeit bereitete mir große Freude. Sowohl die Elemente in denen man selbst aktiv wurde, wie z.B. Spiele und Inszenierungsarbeiten, als auch die Elemente die einen eher anleitendenden Charakter wie bei den Proben hatten. Leider wirkten der Zeitdruck und die starke Produktorientierung, schließlich erwarteten wir 100 Zuschauer, negativ auf mein Empfinden. Ich erkannte den Spaß und das Lernen der Kinder durch unsere Arbeit, empfand die Proben aber teilweise auch als für das Lernen der Kinder nicht optimal genutzte Zeit. Natürlich stellt eine Aufführung eine außergewöhnliche Erfahrung und Motivation dar, aber ich glaube für die individuellen Lernmöglichkeiten der Kinder kann andere, vielleicht auch bessere Arbeitsmethoden finden. Dies stellt selbstverständlich keinen Vorwurf an die Theaterpädagoginnen dar, sondern viel mehr an die gesellschaftlich verbreiteten, eindimensionalen Erwartungen an Theaterpädagogik.
Abschließend möchte ich festhalten, dass ich das Praktikum als sehr anregend empfunden habe, weil ich Einblicke in verschiedenste Bereiche der Theaterarbeit bekommen habe, aber auch weil ich viele Interessante Menschen kennenlernen durfte durch die ich neue, andere Perspektiven kennenlernen und einnehmen konnte. Es hat dazu beigetragen und meinen Entschluss gefestigt, nach meinem Bachelorabschluss zunächst zu versuchen einen klareren, umsichtigeren Blick auf mich und meine Umwelt zu gewinnen um mir dann erneut und hoffentlich weiser die Frage zu stellen: „Welchen Weg möchte ich gehen?“. Denn neben dem ganzen Unistress, hat man leider wenig Zeit um diesen Blick zu gewinnen.
Ich hoffe auch ihr erlangt eine solche Klarheit, wenn ihr sie nicht schon habt.